Der Markwerbener Aussichtsturm
von Mike Sachse, 2015, überarbeitet 2021
Auf einer der höchsten Erhebungen der Gemeinde Markwerben steht hoch über der Saale ein Aussichtsturm.[1] Schon von großer Entfernung kann man ihn erkennen, er steht da wie ein Relikt aus der Zeit des mittelalterlichen Burgenbaus. Doch aus der Nähe betrachtet erkennt man an den zum Teil glasierten Ziegeln, dass das Bauwerk erst in neuerer Zeit entstanden sein kann.
Zur Entstehung des Turmes gibt es nur wenige Hinweise, die sich im Prinzip alle auf eine bestimmte Begebenheit beziehen. Es ist deshalb erstaunlich, dass so ein bauliches Ereignis keinen weit größeren Niederschlag in den schriftlichen Quellen gefunden hat. Zwar wird immer wieder in Artikeln auf das Bauwerk eingegangen, aber ohne detaillierte Angaben. Leider wurden dabei Fehler, die in früheren Veröffentlichungen auftraten, immer wieder mit übernommen. In diesem Artikel soll nun der Versuch unternommen werden, das bekannte Material kritisch zu untersuchen, Fehler, die in früheren Artikel auftraten, zu beseitigen und somit einen Grundstock für die weitere Erforschung zu schaffen. Denn, und das muss man gleich am Anfang festhalten, es bleiben weiterhin einige Fragen offen.
So gibt es zwei Aussagen über die Entstehung des Turmes. Die erste und allgemein bekannteste ist, dass der Turm 1881 durch die Initiative des Markwerbener Landwirts Christian Friedrich Berger (04.04.1818–19.04.1904)[2] errichtet wurde. Er soll einen größeren Geldbetrag für den Bau zur Verfügung gestellt haben. Als Grund, der Berger dazu bewog, einen Turm zu bauen, wird der frühzeitige Tod seiner Kinder angegeben. Durch die ganze Literatur zieht sich diese Begründung.[3] Hier ein exemplarisches Beispiel: „Der Stifter Landwirt Berger aus Markwerben verlor seine Kinder im schulpflichtigen Alter durch Krankheit.[4] Als Andenken an seine Kinder bestimmte er noch zu seinen Lebzeiten eine größere Summe zur Errichtung des Denkmals.“
Eine Überprüfung konnte die Angaben, in dieser Form, nicht bestätigen. So konnte trotz intensiver Suche nur ein Kind in den Geburts,- Tauf- und Todesregistern der Kirche Markwerben gefunden werden. Das Kind wurde am 24.07.1847 geboren und erhielt den Namen Henriette. Am 04.12.1865 verstarb Henriette an „Auszehrung“.[5] Somit stimmt zwar, dass Henriette an einer Krankheit verstarb, aber beim genaueren Betrachten der Lebensdaten kann von einem Kind nicht mehr gesprochen werden. Sie war bei ihrem Tod immerhin schon 18 Jahre alt.
Vielleicht wurden aber nur Tatsachen falsch wiedergegeben. Denn Friedrich Berger hatte noch drei Geschwister, die zwar nicht im schulpflichtigen Alter, aber alle kurz nach ihrer Geburt verstorben sind. Vielleicht könnte auch seinen Geschwistern der Turm gewidmet sein?
Eine andere Begründung für die Entstehung des Turmes kann man bei Fritz Günther nachlesen. Er geht davon aus, dass die Gründe in den 1878 verübten Attentaten auf Kaiser Wilhelm I.[6] liegen. Denn nach seiner Meinung sollen nach den misslungenen Attentaten im gesamten deutschen Reich aus Dankbarkeit, dass der Kaiser am Leben geblieben ist, „Kaiser-Wilhelm-Denkmale“ entstanden sein. Eine Nachforschung in dieser Richtung brachte bis jetzt keinen Erfolg. Es konnten keine Hinweise gefunden werden, die darauf hindeuten, dass aus dem oben genannten Grund Denkmale errichtet wurden. Zwar wurden nach dem Tod von Kaiser Wilhelm I. (gest. 9. März 1888) hunderte Denkmale in Deutschland errichtet, aber vorwiegend Reiterstandbilder. Aber welcher Grund war der ausschlaggebende für den Bau des Turmes? Anzunehmen ist, dass eine im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts auftretende Modeerscheinung auch in Markwerben ihren Niederschlag fand. In ganz Deutschland begann man, zahlreiche Aussichtstürme in den unterschiedlichsten Architekturformen zu errichten. Gründe zum Bau gab es viele. Der Erbauer oder die Initiatoren wollten sich ein Denkmal setzen, oder der Ort sollte als Ausflugsziel attraktiv werden. Oft war, wie auch in Markwerben, eine Einzelperson der Auslöser. Ob er Unterstützung von den einheimischen Vereinen bekam, kann nur vermutet werden, einen Nachweis dafür gibt es nicht.
Leider sind auch noch keine Bauunterlagen, die eventuell darüber Auskunft geben könnten, in den Archiven gefunden worden. Diese Unterlagen könnten auch Antworten auf weitere Fragen zum Architekten des Bauwerkes geben sowie die Frage, ob es mehrere Vorschläge gab, welche Kosten veranschlagt wurden und welche Firma den Bau durchgeführt hat.
Auf jeden Fall war Friedrich Berger vermögend. Die Tatsache, dass er 1883 den Besitzern Friedrich und Traugott Schulze das Grundstück, auf dem der Turm steht, abkaufte und der Gemeinde nachweislich zwei größere Geldbeiträge schenkte, unterstützt die Vermutung. Der Kaufpreis wird für das Grundstück wird nicht genannt. Selbst wenn Berger als Landwirt erfolgreich gewesen sein soll, dürfte das Geld dafür nicht ausgereicht haben. Eine mögliche Erklärung sollte man näher betrachten und diese liegt in der Genealogie der Familie Berger. So waren wenigstens zwei Generationen der Familie Berger vor ihm Pächter oder Besitzer der Ziegelei in Markwerben, was in der damaligen Zeit ein einträgliches Geschäft sein konnte. Sein Großvater selbst nannte sich noch „Königlicher Ziegler“. Da er der einzige Erbe war, wird er einen größeren Geldbetrag geerbt haben oder durch die Verpachtung oder den Verkauf der Ziegelei zu einem gewissen Wohlstand gekommen sein. Dass er selbst noch Geld im Turm versteckte, zeugt von einem recht großen Vermögen. Dazu die Abschrift des Zeitungsartikels im Weißenfelser Tageblatt vom 30.03.1929 (Teil 3). In dem heißt es unter anderem: „Heute früh ist ein großer Teil des Anfangs der 80er Jahre vom Landwirt Berger erbauten sogenannten Markwerbener Turmes eingestürzt. Als man die Trümmer näher besichtigte, fand man eine von den Steinen völlig zertrümmerte Kupferkapsel mit eine Masse Geldstücke, die durch den Sturz weit umher verstreut worden waren. Bis jetzt fand man mehrere hundert Stück. Berger soll ein Sonderling gewesen sein und hat den unbesteigbaren Turm, der sonst keinen ernstlichen Zweck hat, anscheinend bauen lassen, um sein Geld in Sicherheit zu bringen. Durch diese Entdeckung gewinnt auch die Mutmaßung wieder an Wahrscheinlichkeit, daß er, wie es im Volksmund heißt, im Fundament des Turmes, oder in dessen nächster Umgebung, Geld vergraben hat.“
Leider sind keine näheren Umstände bekannt, was mit dem Geld passiert ist und um was für Münzen es sich dabei handelte. Der Aussage, dass mehrere hundert Geldstücke gefunden wurden, sollte man kritisch gegenüberstehen.
Laut o.g. Zeitungsartikel soll ein größerer Teil des Turmes eingestürzt sein. Soweit es sich aus der Entfernung einschätzen lässt, kann man am oberen Nordteil eine Veränderung des Baukörpers beobachten (siehe Bild?). So erkennt man eine Unterbrechung der bis dahin verwendete hartgebrannte dunkle, zum Teil schwach glasierte Steine. In diesem Bereich fallen die zahlreich verwendeten roten Ziegel auf und die fast durchgängige sehr helle Verfugung der Steine. Hauptsächlich durch die andersfarbige Verfugung kann man eine eventuelle Einsturzstelle lokalisieren. Ob es sich dabei tatsächlich um die Einsturzstelle handelt, kann man aber nicht mit Bestimmtheit sagen, denn die Ausdehnung der Einsturzstelle ist nicht so groß, wie in dem Zeitungsbericht angegeben. Es besteht auch die Möglichkeit, dass diese Stelle im Zuge des Wiederaufbaus der Turmspitze Anfang der 50er Jahre oder der 80er Jahre ausgebessert wurde.
Eine weitere mündliche Überlieferung geht davon aus, dass der Aussichtsturm auf einem vorgeschichtlichen Grabhügel errichtet worden sein soll. Diese Annahme kann nach anfänglichen Bedenken bestätigt werden. Denn auf einem Plan aus dem Jahre 1757[7] ist an jener Stelle ein Hügel eingezeichnet. Dieser Hügel wird als „Glatte“ oder „Sengenhügel“ bezeichnet.
Nach Fertigstellung des Bauwerkes 1881 soll der Turm längere Jahre ein vielbesuchter Ausflugsort gewesen sein. Die gewonnenen Einnahmen (die Besteigung des Turmes war kostenpflichtig) sollen dabei der Schule in Markwerben zugeflossen sein. Diese wiederum nutzte das Geld für ein jährlich stattfindendes Kinderfest.[8] Bis 1945 führte man das Kinderfest regelmäßig durch. Später, bis Anfang der 70er Jahre, gab es noch Umzüge zum Aussichtsturm, mit anschließendem Johannisfeuer. Kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges stand der Turm noch einmal im Mittelpunkt. Beim Einzug der amerikanischen Truppen in Markwerben verschanzten sich zwei Einwohner auf dem Turm und beschossen von da aus den Soldaten. Zum Glück wurden von amerikanischer Seite keine schweren Waffen zum Einsatz gebracht, denn damit wäre der Turm mit großer Wahrscheinlichkeit zerstört worden. War der Turm bis dahin in einem guten baulichen Zustand,[9] traten nach 1945 schon die ersten Mängel auf. Die unteren Holzstufen wurden als Brennholz herausgerissen.[10] Einige Jahre später, so gegen Ende der 40er, Anfang der 50er Jahre kam es zu einem größeren Zwischenfall. Vier aus Burgwerben stammende Männer rissen mutwillig die Turmspitze ein, so dass der Turm daraufhin baupolizeilich gesperrt werden mußte.[11]
Ab 1952 kämpfte Fritz Günther für die Wiederherstellung des Turmes. Laut seinen eigenen Angaben[12] sammelte er zuallererst Geld, um die entsprechenden handwerklichen Leistungen bezahlen zu können. Doch nur unter erschwerten Bedingungen konnte er das Geld sammeln. So schreibt er in seinem Text: „Bis ich eines Tages fast verhaftet worden wäre, weil ich ohne polizeiliche Genehmigung sammeln gegangen war. Die Partei war offensichtlich stark verärgert durch meinen Alleingang.“ Zwar hatte Günther nach kurzer Zeit einen Spendenbetrag von 664,40 M zusammen, aber in der Mangelwirtschaft der DDR war die Baumaterialbesorgung ein noch größeres Problem. So konnte er nur durch „Beziehungen“, wie er selbst schreibt, und „hintenherum“ das nötige Material beschaffen. Nach einigen Monaten aufreibenden „Besorgens und Organisierens“ konnte die Turmspitze fertiggestellt werden. So war der Turm wieder in einem guten baulichen Zustand. Ob er aber wieder bestiegen werden konnte, ist nicht anzunehmen, wie aus einem Zeitungsartikel aus dem Jahre 1983 hervorgeht. Darin wird davon ausgegangen, dass der Turm ab den 40er Jahren nicht mehr zu besteigen war.
1983 konnte dann endlich der Turm wieder begehbar gemacht werden. Durch die Bereitstellung von 20.000 M Lottogeldern und der Hilfe von insgesamt 83 Markwerbener Bürgern, die in rund 1363 Arbeitsstunden mit beim Aufbau geholfen hatten, konnte der Aussichtsturm der Öffentlichkeit am 07.10.1983 wieder zugänglich gemacht werden. Zur Unterstützung konnten dabei auch einige Betriebe gewonnen werden. So hatten die BHG Weißenfels, das Ziegelwerk Pettstädt, die Leuna-Werke und der Steinmetzmeister Reinhardt einen großen Anteil an der Fertigstellung des Turmes.
Seit der Wiedereröffnung ist der Turm wieder ein oft genutztes Ausflugsziel, denn die Aussicht über das Saaletal ist wirklich einmalig.
Zum Schluss möchte ich auf einen nicht veröffentlichten Artikel über den Aussichtsturm von Fred Knauth eingehen. In dem Artikel geht er auf das Thema des Turmnamens ein. Für die Markwerbener Einwohner ist die Bezeichnung des Turmes eindeutig. Entweder Aussichtsturm oder Bergerturm.[13] Jedoch wird der Turm von vielen Auswärtigen, besonders Weißenfelsern, Mäuseturm oder auch Käseturm genannt. So stellt Fred Knauth eindeutig fest, dass es zwar einen Mäuseturm gibt, dieser aber am Rhein steht. Wie es aber nun zu der Namensgebung des Markwerbener Turmes gekommen ist, konnte auch er nicht klären und es bleibt somit im Dunkeln.
Eine Möglichkeit zur Namensgebung besteht darin, dass die bescheidenen Ausmaße dem Turm seinen „Spitznamen“ gaben. Im Gegensatz zu anderen Türmen in der näheren Umgebung, ist der Markwerbener Aussichtsturm natürlich klein. Vielleicht wollte man durch die verniedlichende Bezeichnung auf die Größe des Turmes hindeuten. Eine zweite Möglichkeit ist der Einsturz im Jahre 1929 (siehe oben). Der Fund von mehreren hundert Münzen könnte der Namensgebung ebenfalls Pate gestanden haben. Denn die Bezeichnung für Geld ist unwahrscheinlich vielfältig. Neben Kies, Schotter, Moos, Zaster oder Moneten, um nur einige zu nennen, gibt es auch die Bezeichnung Mäuse.
Literatur
Günther, Fritz, Handschriftliche Aufzeichnungen über den Aussichtsturm, 1952
Zeitungsartikel aus der Freiheit, Oktober 1983
Zeitungsartikel aus der Freiheit, Oktober/November 1983
Riemer, Jörg u. Ranscht, Susanne, Kirchen und historische Gebäude in Weißenfels und Umgebung, Weißenfels 2000
Knauth, Fred, Unveröffentlichter Artikel über den Bergerturm, Markwerben 2000
[1] Von diesem Turm hat man bei schönem Wetter eine herrliche Sicht über das Saaletal. Der Turm hat eine Höhe von 11,50 m bis zur Plattform. Die Höhe bis zur Turmspitze beträgt ca. 14,50 m. Der Durchmesser beträgt 4,00 m, bei einer Mauerstärke von 0,65 m.
[2] Der Grabstein der Familie Berger steht heute noch auf dem Markwerbener Friedhof. Dem Einwohner Fred Knauth ist es zu verdanken, dass die Grabstätte einer in den letzten Jahren durchgeführte Friedhofsbereinigung nicht zum Opfer fiel.
[3] Nur in einer handschriftlichen Aufzeichnung des Markwerbeners Fritz Günther wird Friedrich Berger als kinderlos bezeichnet. Die Aufzeichnung stammt aus dem Jahre 1952 und wurde im Zusammenhang mit einer Sammelaktion für die Instandhaltung des Aussichtsturmes aufgeschrieben. Fritz Günther sammelte bei Einheimischen, aber besonders bei Weißenfelser Betrieben, Geschäften und Ärzten Geldspenden ein. 664,40 Mark konnte er zusammenbringen. Mit diesem Geld konnte der Turm wieder begehbar gemacht werden.
[4] Auch in der zum Teil handschriftlichen Chronik (Dezember 1946) von Ottomar Schäfer wird von dem frühzeitigen Tod der Kinder ausgegangen. Nach seiner Meinung sind die Kinder an Diphterie gestorben.
[5] Im heutigen Sprachgebrauch wird die Krankheit, an deren Folgen Henriette verstarb, als Tuberkulose bezeichnet.
[6] 1878 wurden zwei Attentate auf Kaiser Wilhelm I. unternommen. Diese Attentate nutzte Reichskanzler Bismarck für ein neues Sondergesetz gegen die Sozialdemokraten aus. Nach anfänglichen Bedenken wird es von der Reichstagsmehrheit angenommen. Das sogenannte Sozialistengesetz beinhaltete unter anderem ein Verbot sozialistischer Vereine, Versammlungen und Druckschriften und die Ausweisung sozialdemokratischer Führer.
[7] Der Plan liegt in der Staatsbibliothek in Berlin unter der Registratur: Kartensammlung Preußische Messtischblätter, Bd. III, Bl.4, Kastenblatt 2749 Weißenfels
[8] Es existieren darüber gerade aus den 30er und 40er Jahren noch eine Anzahl von Fotos.
[9] Nach der Wiederherstellung 1929/30?
[10] Freundlicher Hinweis von Herrn Damke, Markwerben.
[11] Dieser Hinweis stammt aus der handschriftlichen Niederschrift von Fritz Günther. Auch sonst ist der älteren Bevölkerung dieser Zwischenfall bekannt, aber ohne konkretes Ereignisdatum.
[12] Siehe Fußnote 3.
[13] Der Name Bergerturm ist historisch der richtige. So steht auf der Innschrifttafel, die am Oberteil des Turmes angebracht wurde „Bergerturm“. Man kann davon ausgehen, dass jene Tafel aus der Entstehungszeit stammt. Der vollständige Wortlaut der Tafel lautet: BERGER TURM – ERBA. F. BERGER – MARKWERBEN 1881.