Das Hochwasser 1799
vom Mike Sachse
1799 erlebte Markwerben eine Naturkatastrophe, die zu den größten gezählt werden muss. Ein Hochwasser von nicht erahntem Ausmaße überflutete große Teile der Ortschaft.
Das Hochwasser im Jahre 1799 war nicht die erste Katastrophe, die Markwerben getroffen hatte. Nachweislich sind Überschwemmungen aus den Jahren 1558, 1613 (auch Thüringer Sinnflut genannt), 1752, 1755, 1764, 1784 und 1794 bekannt. Diese Überflutungen waren aber bei weitem nicht so katastrophal, wie die von 1799. Allgemein muss man davon ausgehen, dass Markwerben seit seinem Bestehen immer wieder von Hochwasserkatastrophen heimgesucht wurde. Warum keine größeren Deich- und Dammbauten als Gegenmaßnahme errichtet wurden, ist unklar. Diese wären zwar mit hohen Kosten verbunden gewesen, hätten aber die Schäden in Grenzen gehalten. Wie in der Aufzählung ersichtlich, kam es erst ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zu vermehrten Hochwasserkatastrophen. Die Ursachen sind verschiedener Art. Zum einen liegt die Ursache in dem verstärkten Ausbau der Saale. Zahlreiche Wehre wurden angelegt, die ja allgemein den Flusspegel und somit den Grundwasserspiegel anheben. Zum anderen wurden die Uferbefestigungen immer mehr vernachlässigt und nicht instand gehalten. Das führte dazu, dass die Ufer ausgewaschen wurden und somit der Fluss leichter übertreten konnte. Ein zutreffender Zeitungsartikel konnte in einem Weißenfelser Wochenblatt aus dem Jahre 1881 gefunden werden.
„Wenn ein Gebirgsfluß, der eine rasche Strömung hat wegen starken Gefälles in ebenen Gegenden Theile der Ebenen bei Hochwasser überschwemmt, auswäscht und fortreißt, so dass nach und nach Hunderte von Morgen an Wiesen und Feldern spurlos verschwinden, so jammert der Landmann und ganze Bezirke wenden sich an Regierungen und Ständeversammlungen und verlangt Hilfe. Überall, wo der Mensch zu faul ist, sich zu helfen, soll der Staat helfen. Wenn die Holländer so wären wie die Bauern in vielen Bezirken Deutschlands, so würde ihr Land gar nicht von Menschen, sondern von Fröschen bewohnt sein. Nur die Nachlässigkeit der Menschen ist schuld, wenn die Flüsse die Ufer wegreißen. Wenn man zur rechten Zeit Stecklinge und Weidenarten, Pappeln, Erlen einsteckt, oder Erlensamen ausstreut, so werden die Ufer sich mit einem Waldgürtel bepflanzen, so dass der Fluss nichts mehr machen kann. Als Nebennutzen hätte man Korbmachermaterial, an den Weidenzweigen Gerbstoff und Brennholz, so dass man das theure Waldholz als dann in die Städte oder zur Ausfuhr verkaufen könnte“.
Wie konnte es zu diesem verheerenden Hochwasser von 1799 kommen? Der Winter 1798/99 war außerordentlich kalt, schneereich und lang anhaltend. Bereits Mitte November 1798 kam es zu einem ersten Kälteeinbruch, der von ergiebigen Schneefällen begleitet war. Nach einer kurzen Tauphase Anfang Dezember stellte sich ab dem 5. Dezember wieder starker Frost ein. Temperaturen bis – 25 °C traten auf. Die Kälte hielt bis Mitte Februar unvermindert an. Dazu kamen nochmals ergiebige Schneefälle, die zum Teil die Straßen unpassierbar machten. Inzwischen waren die Saale und ihre Nebenflüsse an vielen flachen Stellen bis auf den Grund zugefroren. Treibeis schob sich zu großen Eisbarrieren auf, die örtlich mit Kanonen beschossen wurden, um diese aufzulösen. Plötzlich setzte zwischen dem 15. und 22. Februar Tauwetter ein, das verbunden war mit starken Regenfällen und heftigen Stürmen. Bereits im Oberlauf der Saale kam es aufgrund der plötzlichen Schneeschmelze und durch gleichzeitige Regenfälle zur Ausbildung einer Hochwasserwelle. Die Welle erreichte am 24. Februar Naumburg und traf mit der Welle der Unstrut zusammen. Diese Zusammenführung erhöhte nochmals die Welle und beeinflusste den weiteren Hochwasserverlauf nachhaltig und hatte katastrophale Folgen für die Ortschaften flussabwärts. Am gleichen Tag erreichte das Hochwasser Uichteritz und Markwerben. In Uichteritz waren 45 Einwohner stark betroffen. 31 Gebäude hatten einen Totalschaden erlitten. Ähnlich war es in Markwerben wo gleichzeitig noch ein starkes Feuer ausgebrochen war. 19 Gebäude, Scheunen und Ställe waren ganz zerstört oder wiesen größere Schäden auf. Durch das Hochwasser wurden weitere 18 Gebäude zerstört oder beschädigt.
Zu den Verlusten an den Gebäuden kamen noch erhebliche Schäden auf den landwirtschaftlich genutzten Flächen. Bäume und Sträucher wurden durch das Wasser weggerissen und die Felder waren zum Teil schlamm- und sandbedeckt.
Das Hochwasser hatte nicht nur in beiden Orten verheerende Schäden angerichtet, sondern am ganzen Verlauf der Saale. In Weißenfels selbst waren die Schäden an Gebäuden ebenfalls groß. Nicht nur, dass Teile der Stadtmauer im Bereich zwischen der Großen Kalandstraße und Dammstraße eingestürzt waren, auch in diesem Bereich befindliche Wohn- und Nebengebäude waren unterspült oder zum Teil eingestürzt. Die Regierung in Dresden war dadurch gezwungen, einen Notfond einzurichten, um so schnell wie möglich die am schwersten betroffenen Familien finanziell zu unterstützen.
Dazu gibt es im Stadtarchiv Weißenfels eine entsprechende Akte (AI 3320). In der sind alle gemeldeten Schäden für das Stadtgebiet aufgeführt. Insgesamt werden die Schäden für die Stadt Weißenfels mit seinen Vorstädten mit 15 362 Talern angegeben. Als Soforthilfe bekam die Stadt 400 Taler. Zwar war das Geld schnell vorhanden, doch mit der Verteilung nahm sich die Verwaltung viel Zeit. Ende Mai 1800 kam aus Dresden eine Mahnung, das Geld so schnell wie möglich zu verteilen. Mit Befremdung wurde festgestellt, dass gerade einmal 100 Taler ausgezahlt waren. Ob die Verwaltung auf das Schreiben mit einer schnelleren Auszahlung der Gelder reagierte, konnte aus den vorhandenen Akten noch nicht nachvollzogen werden. Bei der Schadensauflistung sind die Dörfer in der unmittelbaren Gegend unberücksichtigt geblieben. Speziell für Markwerben konnten nur vereinzelte Hinweise gefunden werden. Dabei handelt es sich um Spendenbriefe aus Dresden und Leipzig, die sich aber im Kircharchiv Markwerben befinden.
Ein weiterer Hinweis zum Hochwasser in Markwerben konnte in einer alten Bibel aufgefunden werden. Der damalige Zeitzeuge Christoph Tünschel aus Markwerben hatte auf der letzten freien Seite die Begebenheit kurz niedergeschrieben: Anno 1799 dem 22ten Februarius ein großes Wasser und zu gleich in drey Tagen so groß war das und zu gleich Feuer durch Christian T.... aus kam Abend um 11 Uhr am 24ten Feb: 5 Gebauder in völliger Flame gestanden und 4 Scheunen und 5 Ställe in die Asche gelecht worden. Gott sey dank das sich die Luft gewendet hat sie kamm von Abetdräute (Abendröte) wieder nach den Abent zu sonst währe das gantze Dorf in die Asche geleget worüber Pfarrhaus Kirchen und Schule auch wären mit darauf gegangen seyn. Solches habe ich geschrieben zu einen immer währenden Andenken.
(Wort nicht lesbar) Christoph Tünschel in Marckwerben Anno 1799
Eine Unklarheit ist in dem Text von Christoph Tünschel enthalten. Er schreibt, dass das Feuer am 24. Februar ausgebrochen ist. Laut den anderen Berichten soll aber die Brandkatastrophe schon am 22. Februar stattgefunden haben. Christoph Tünschel verwechselte wohl das Datum des Brandes mit dem des Hochwassers.
In den Beständen der Graphiksammlung des Museums Weißenfels gibt es einen Kupferstich von Markwerben, der ebenfalls mit dem Hochwasser 1799 in Zusammenhang steht.
Nach Gründung des Städtischen Museums 1910 wurden in regelmäßigen Abständen im damaligen Weißenfelser Tageblatt die wichtigsten Neuerwerbungen und Schenkungen veröffentlicht. So auch in der Ausgabe vom 14. Februar 1914. Unter den zahlreichen neuen Erwerbungen wird auch „Ein alter Kalenderkupfer zeigt eine Wassernot bei Markwerben“ aufgeführt. Ob der Kupferstich ein Ankauf oder eine Schenkung war, ist aus dem Text nicht zu erschließen.
Der Kupferstich hat die Abmaße 250 mm x 165 mm und ist in einem hellbraunen Ton gehalten und ohne Signatur. In der oberen Hälfte ist die Küstenstadt Neapel mit Hafen, seinen Befestigungen und ein- und auslaufenden Schiffen abgebildet. Detailliert werden Häuser, Kirchen, Türme, Brücken und selbst Menschen wiedergeben. Darunter, etwas kleiner, wird das Dorf Markwerben in einer Notsituation dargestellt. Zu sehen ist ein Teil des Dorfes, das von einer mächtigen Überschwemmung und einer Feuerbrunst betroffen ist. Die meisten Häuser sieht man nur noch ab der oberen Etage aus dem Wasser ragen. In der rechten Bildhälfte stehen die Gebäude noch dazu in Flammen. Links am Bildrand dargestellt, eine sich auf einen erhöhten Platz rettende Familie, die völlig fassungslos auf die sich abspielende Katastrophe blickt. Rechts daneben Männer in einem Boot,[1] die einen geretteten Einwohner an das sichere Ufer bringen. Auf den aus dem Wasser ragenden Bäumen werden, um die dramatische Situation noch zu erhöhen, einzelne Menschen gezeigt, die sich in letzter Sekunde darauf retten konnten. Unter der Abbildung steht die Zweckinschrift: „Feuers und Wassers Noth zugleich oder das Chursähsische dorf Marktwerben an der Saale im Feuer und Wasser in der Nacht von 22. bis 23. Februar dieses 1799sten Jahres.“ Links und rechts des Bildes ist je ein Paar in zeitgenössischer Tracht abgebildet, wobei das linke Paar mit mitleidiger Miene das sich abspielende Schauspiel betrachtet.
In der Mitte zwei runde Portraitmedaillons, welche die beiden Bilder von Neapel und Markwerben überschneiden. Das linke zeigt Friedrich August König von Polen und Kurfürst zu Sachsen, das rechte seine Ehefrau Christiane Eberhardine.
Bis vor kurzen war unklar wie das kleine Dorf Markwerben mit der Weltstadt Neapel auf einen Kupferstich zusammenkommt. Die Überlegungen gingen meist in die Richtung, dass es in Neapel zur gleichen Zeit ebenfalls eine Naturkatastrophe gegeben haben könnte. Aber diese Idee wurde gleich wieder verworfen, denn die Darstellung Neapels deutet nicht darauf hin. Auch die anderen Interpretierungsversuche, die hier nicht weiter erläutert werden sollen, blieben unbefriedigend. So blieb die Antwort auf die Frage fast zwei Jahre ungelöst. Den entscheidenden Hinweis lieferte 2003 die damalige Museumsleiterin des Städtischen Museums Weißenfels, Frau Dr. Astrid Fick. Ihr fiel, mehr durch Zufall, ein Buch aus der Museumsbibliothek in die Hände, in dem zahlreiche ähnlich gestaltete Kupferstiche abgebildet waren, wie der von Markwerben und Neapel. Der Titel des Buches lautete: „Allgemeine Welt-Chronik oder neue und wichtige Zeit-Geschichte aller Länder und Völker. Mit beigefügten Moden, Anmerkungen und Kupfern. Zittau, 1795“.
Über die Stadtbibliothek Weißenfels wurde nun versucht, eine Allgemeine Welt-Chronik aus dem Jahr 1799 zu bekommen oder wenigstens eine Kopie der entsprechenden Textpassage, um die Richtigkeit der Annahme zu bestätigen. Die Antwort aus der Christian-Weise-Bibliothek in Zittau erbrachte eine kleine Überraschung. So war die Abbildung von Markwerben nicht in der Allgemeinen Weltchronik, sondern in dem „Monatlicher Staats-Courier durch ganz Europa“ enthalten. Diese monatliche Zeitschrift wurde in Zittau gedruckt und durch Johann Gottfried Baumann und Marie Elisabeth Lorenz herausgegeben. Im Laufe des Jahres 1799 wurde die Zeitschrift umbenannt und erhielt den Namen „Politische Stafette“. Diesen Namen trug die Zeitschrift bis 1813.
Über die Naturkatastrophe in Markwerben wird in den Ausgaben April und Mai 1799 berichtet. In der Aprilausgabe wird auf Seite 62 unter der Rubrik Trauer und Unglücksbegebenheiten Folgendes berichtet: Zu Markwerben, einem an der Saale bey Weissenfels gelegenen Dorfe, brach in der Nacht vom 22sten zum 23sten Februar, eben in dem Augenblick als die Wasserfluth und Übersschwemmung den höchsten Grad erreicht hatte, und schon auf 18 Gebäude von den tobenden Wellen theils eingestürzt, theils dem Einsturze nahe waren, ein so heftiges Feuer aus, welches binnen wenig Stunden 5 Gehöfte mit allen Vorräthen in Asche verwandelte.
In der Maiausgabe befindet sich der Kupferstich mit einem kurzen Erklärungstext. Dieser lautet: Feuers- und Wasser-Noth zugleich; oder das an der Saale gelegene Chursächsis. Dorf Markwerben, in der Nacht vom 22sten zum 23sten Februar, dieses 1799sten Jahres.*
Details des Kupferstichs
*) Man sehe voriges Monatsstück, dieses Staats-Couriers, Seite 162.
Im weiteren Text werden auch die beiden Portraitmedaillons und die Darstellung Neapels besprochen. Zu den abgebildeten Personen in den Portraits wird eine kurze Lebensgeschichte wiedergegeben und das Bild über Neapel soll an die Eroberung 1799 durch Napoleon erinnern.
Nach der Ansicht weiterer Abbildungen aus dem „Staats-Courier“ kann man zu der Annahme kommen, dass beide Ortschaften nur durch reinen Zufall auf einen gemeinsamen Kupferstich gekommen sind. So wurden meist zwei wichtige Ereignisse des Monats bildlich dargestellt. Die Auswahl wird wahrscheinlich der Herausgeber getroffen haben. Dass er gerade die Naturkatastrophe in Markwerben ausgewählt hat, lag in den unglücklichen Umständen, die das Dorf getroffen hatte.
Vielerorts regte es Menschen an, das geschehene Unglück in Form von Gedichten wiederzugeben. Ein solches Gedicht befindet sich (unvollständig) im Museum Weißenfels. Geschrieben wurde es durch den Pfarrer Ernst Christoph Burghart Magen aus Reinsdorf.[2] Ein weiteres bekanntes Gedicht wurde durch den Prediger M. Christian Friedrich Traugott Voigt aus Leipzig verfasst.[3]
Literatur
Weißenfelser Tageblatt vom 14.Febr. 1914, Ein alter Kalenderkupfer zeigt eine Wassernot bei Markwerben
Sturm, Carl August Gottlieb, Chronik der Stadt Weißenfels, Weißenfels 1846, S. 380-381
Monatlicher Staats-Courier durch ganz Europa, Zittau April und Mai 1799
Mathias Deutsch, Zum Hochwasser der Elbe und Saale Ende Februar/ Anfang März 1799, in: Beiträge zum Hochwasser/Hochwasserschutz in Vergangenheit und Gegenwart, Erfurter Geographische Studien, Heft 9, Erfurt 2000, S. 7- 45
Mathias Deutsch, ;…… und konnte sich keiner an solche Fluthen erinnern.“ – Zu Untersuchungen schwerer, historischer Hochwasser der Saale im Zeitraum von 1500 bis 1900, in: Wasserhistorische Forschungen, Schriften der Deutschen Wasserhistorischen Gesellschaft, Band 4, Siegburg 2004
Mathias Deutsch, Historische Hochwasserereignisse in Thüringen – dargestellt am Beispiel der Saale, 2005?, Artikel aus dem Internet
[1] Carl August Gottlieb Sturm schreibt dazu in seiner „Chronik der Stadt Weißenfels,“ dass die Weißenfelser Fischer den Markwerbener Einwohnern zu Hilfe kamen.
[2] Ernst Christoph Burghart Magen, Friedrich August, Churfürst von Sachsen, Wohltäter seines Volkes, Zum Besten der bedürftigsten Wasserbeschädigten zu Reinsdorf, Weißenfels 1800
[3] Der Band konnte für zwei Groschen erworben werden. Ein Teil des Betrages ging in einen eingerichteten Notfond.